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Tango "and more"

... würde es bei Ray heissen... ;-)

eine musikalische Entdeckungsreise

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Buenos Aires

1. Packen

KLM erlaubt 23kg. Die sind mit der Iron Cobra Hihat (die Santi, der Percussionist von Violentango) bestellt hat, sowie einem Satz Becken weitgehend ausgeschöpft. Nun macht sich die Routine der früheren Frankreich Touren bezahlt: Dort war ja das rigorose "Plastiktütengesetz" (= Privatsachen nur bis zum Fassungsvermögen einer Plastiktüte) auf manchen Musiker abschreckend gewesen; wohingegen ich selbst ganz sportlich auch dieses Limit zu unterbieten pflegte. Das ist lange her, aber im Moment fühlt es sich wieder genauso an! Wichtig auch, die "andere" Unterhose und das "andere" Paar Socken so zu wählen, daß es gegen Ende der Reise problemlos weggeworfen werden kann, um auf dem Rückweg genügend Platz für CDs, erworbene folkloristische Instrumente und andere Memorabilia zu haben.....

2. Vorsicht mit allzugroßer Rührung

Nachts um 2h. Nach einem ereignisreichen Abend fahren wir mit den Jungens auf einen Absacker in eine Kneipe, deren Namen ich schon wieder vergessen habe. (Daß ein solcher Absacker nach einem langen Abend nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Absackern ist, die dann meist an verschiedenen privaten Plätzen enden, sei nur am Rande erwähnt.) In dieser Kneipe also: hohe Räume mit Ventilatoren; gleich müßte eigentlich Humphrey Bogart zur Tür hereinkommen.... spielt in der Ecke eine Band. Es ist so eine Art Tango-Jam-Session. Gerade ist ein Sänger auf der Bühne, der fraglos eher an seinem 80. als 70.Geburtstag knabbert. Er garniert seinen rührend gebrechlichen, wie schmetternden Gesang ab und zu mit ein paar Tanzschritten, die auch eindeutig in Richtung der anwesenden Damen zielen, die überwiegend seine Enkelinen sein könnten (manche vielleicht sind?). Das ganze hat schon vieles von dieser spezifischen Buena Vista Social Club Atmosphäre und als ich gerade endgültig vor Rührung vom Stuhl schmelzen will, erklärt mir Santi, daß dieser Herr im Hauptberuf DER Koksdealer von diesem Stadtteil ist........

"Beim Verklären ertappt", denke ich.

3. Fernandez Fierro

ist eine 12köpfige Band (4 Bandoneons, 4 Geigen, Cello, Kontrabass, Klavier, Sänger), die Erfinder (und Könige) des "New Tango". Vor 10/12 Jahren haben die angefangen, auf der Straße zu spielen, sind einigermaßen bekannt geworden und beschlossen dann, für ihre Konzerte anstelle des handelsüblichen "Pay to play" lieber ihren eigenen Laden aufzumachen. Dort (und zwar in Buenos Aires ausschließlich dort) spielen sie jeden Mittwoch, es sei denn, sie sind auf Tour. Eine Stunde lang, von 23 - 0h.

Diese Stunde werde ich so schnell nicht vergessen! Der Laden faßt ca. 300 Leute und die sind auch immer da, wenn Fernandez Fierro spielen: Die Bühne ist duster, elf schemenhafte Gestalten in betont legerer Kleidung - dann tritt irgendjemand dreimal auf den Boden und ein musikalisches Gewitter beginnt. In den vierfach besetzten Sätzen von Bandoneon und Geige spielen alle völlig "nebeneinader" her nur dann und wann hauen die ansatzlos einen Unisono Lauf raus, der einen an die Wand oder in den Sitz preßt. Möchte man die Struktur eines Stückes erkennen, hält man sich am besten an den Bassisten, denn selbst das Klavier wechselt nach kaum nachzuvollziehendem Muster "gängige Tangobegleitung" mit wüsten Cluster Attacken. Wohlgemerkt: Wir haben es hier nicht mit freier Improvisation zu tun, sondern mit durchkomponierter Musik! Die wird aber regelrecht rausgerotzt - auf einem musikalischen Niveau, das ich sonst nur von Hermeto Pascoal kenne, vielleicht im übertragenen Sinne auch Zappa.....

Dann kommt der Sänger auf die Bühne, das Gesicht im Dunkeln, bei jedem Stück mit anderen Accessoirs, mal ist es ein Fußball, dann singt er im Motorradhelm, dann Regenschirm..... letzteres, wie auch vieles von der Gestik sehr Tom Waits-mäßig. Nur singt er eben nicht mit irgendeiner maniriert, stilisierten Stimme, sondern durchaus "klassisch", eher in Richtung "Thomas Quasthoff singt Kurt Weill". Nur für die Ansagen zwischendurch ändert er sein Wesen, fast marktschreierisch haut er seine Botschaften in den Raum, die ich leider weitgehend nicht verstehe. Lediglich den immerwiederkehrenden Satz, daß es ihr allerletztes Konzert sei, kriege ich mit. Klar, denke ich, nun ist Weihnachtspause -- aber falsch. Ich werde aufgeklärt: Das sagt er jedesmal, wenn die spielen, das ist eine Art Ritus.....sicher aber auch ein Weg, die ganze Band dahin zu peitschen, als wäre es wirklich ihre letzte Stunde. Und das funktioniert!

Großartig auch das Licht (mit vergleichsweise wenig Mitteln): Wie schon gesagt, weitgehend düster aber mit gelegentlichen Blitzeinschlägen, fast alles in weiß, nur der Sänger wird von unten von einem blauen Scheinwerfer touchiert. Es gibt ab und zu Spots für Solisten oder Leadstimme, diese strahlen aber immer das Instrument, nie den Spieler an! Das ist der Hammer! -- Für mich ein Sinnbild gegenüber dem Problem, daß sich doch häufig Spieler "vor die Musik" stellen wollen. 

Überhaupt meine ich, in deren Auftreten viele grundsätzliche Haltungen zu Musik zu erkennen, und zwar viele gute, und so irritiert es mich um so mehr zu erfahren, daß diese Kapelle ein absolutes Kollektiv ist, eine Bandform, der ich im allgemeinen keine lange Lebensdauer zuschreibe.

Hoffentlich kann ich die Band Anfang Januar nochmal sehen, ich hätte da schon noch die ein oder andere Frage!

3.b  New Tango

Der gerade erwähnte, relativ junge Stil des "New Tango" ist übrigens in sich schon eine (meines Erachtens dringend notwendige) Aussage zur Tangorezeption: Es handelt sich um Musik. Konzertante Musik. Nicht um ein Gleitmittel für mittelalterliche Damen, die meinen, daß es hochgradig erotisch sei, sich beim Tanzen so zu bewegen, als hätten sie einen Schokoriegel im Arsch. Gleichzeitig grenzt sich New Tango aber auch von diesem "modernen" Tango Crossover ab, bei dem dann z.B. "El Choclo" mit einem unerhört "ambienten" Drum und Bass-Track unterlegt wird, der ja auch schon genau so unter Saties "Gymnopedie", der Nußknackersuite oder "Der Mond ist aufgegangen" zu hören ist.

Leider ist vieles von dem, was ich zu beschreiben versuche, auf CD-Aufnahmen nicht wirklich vermittelbar, ich werde mich daher zukünftig dafür einsetzen, daß deutsche Musiker überhaupt nur noch Tango spielen dürfen, wenn sie einen mindestens achttägigen Aufenthalt in Buenos Aires (Davon die Hälfte der Zeit im Stadtteil Palermo) nachweisen können. ;-)

4. Rodrigo Gomez

Bei dem kleinen Festival im Uni Club tritt als dritte Kapelle "Proyecto Gomez Casa" auf. Das ist ziemlich experimentell und ziemlich geil: Rodrigo ist die (recht durchgeknallte) zentrale Figur: Er trommelt, singt, spielt Dobro, sampelt und loopt und das alles durcheinander, meist gleichzeitig. Um ihn herum agieren noch ein Bassist, Gitarrist und ein Typ mit einem Theremin - ähnlichen Gerät, der im wesentlichen Geräusche generiert. Man schaut aber notgedrungen durchgehend auf Rodrigo, der vor allem in der Bühnenpräsenz stark an David Thomas von Pere Ubu erinnert. Auch die Musik ist gar nicht soweit von Pere Ubu entfernt, allerdings ist die Grundlage ein kompromissloser, harter Techno-Beat. Ganz selten nur verläßt Gomez die "four on the floor"- Schiene, trommelt dann aber ein polymetrisches Feuerwerk, das jeder "Phantomas"-Scheibe weiterhelfen könnte! Sein Gesang sind ständig repetierende Phrasen, die von Mal zu Mal intensiver werden. So intensiv, daß es gar nicht schlimm ist, daß ich kein spanisch verstehe -- später werde ich aufgeklärt: Es ist ohnehin seine eigene Phantasiesprache. Und richtig: Was diese fast gewalttätige Energie angeht, war ich irgendwie schon die ganze Zeit auch an Christian Vander erinnert....

Dann aber der eigentliche Knaller: Die erwähnt vierköpfige Kapelle hat auch vier "Beleuchter" dabei -- und man weiß schon wieder nicht ob man hier in die 70er (in der DDR) zurückversetzt ist, oder die Zukunft der Beleuchtungstechnik sieht: Die vier Typen haben Signalwesten an, knien auf der Bühne und jeder hat eine Lichtquelle mitgebracht. Weiter hinten einer mit zwei Scheinwerfern, die tatsächlich einem deutschen Partykeller von 1978 entwendet zu sein scheinen, einer hat eine Art Taschenlampe, nur stärker - vielleicht aus der Tauchzubehörabteilung? Und der mir am nächsten knieende hält einen Diaprojektor (ebenfalls 70er Modell) in der Hand. Damit zielen sie auf verschiedene Objekte, Personen und mit der jeweils freien Hand operieren sie mit Spiegeln, Folien und anderem Zeugs, um Lichteffekte zu erzielen. Das ganze sieht zunächst so verdammt jämmerlich aus, entwickelt dann aber ungeheure Kraft, vor allem, weil diese vier offensichtlich jeden Takt, jeden Akzent der Musik kennen und darstellen.....

Und dann aber auch wieder dieser dramatische Teil: Nach ihrem Set gehe ich zum Bassisten und will eine CD erwerben. Der wechselt ein paar Worte mit einem "meiner Jungs" (Violentango) und will mir die CD dann unbedingt schenken, wird ganz servil...... und ob ich nicht irgendwas in Europa für sie klarmachen könnte! Klar, für die (wie für die allermeisten anderen auch) ist hier wirtschaftlich kein Blumentopf zu gewinnen: An dem Abend zum Beispiel ist der Eintritt für vier Bands 40 Pesos (ungefähr 7,50 Euro). Die Bands bezahlen aber erst mal 8000 Pesos, um überhaupt da spielen zu dürfen. Dann sind sie wohl auch am Getränkeumsatz beteiligt, das reißt aber kaum was raus, denn litfassartiges Trinken kann sich hier in der Kneipe sowieso niemand leisten. Vermutlich trinken wir, also die vier Bands plus Entourage, doppelt soviel wie das gesamte (etwa 300 Personen zählende) Publikum....   Und nur noch mal zur Klärung: Hier sind nicht ein paar Eselstreiber am Start, die am Wochenende auch mal ein wenig musizieren -- Rodrigo Gomez würde in jeder europäischen Großstadt vielleicht nicht als der allerletzte Schrei gelten, aber doch ganz locker in der Underground Bundesliga um die vorderen Plätze spielen. Wie die alle hierzulande als Musiker ihre Existenz bestreiten (das gilt übrigens auch für "meine" Jungs von Violentango), habe ich noch nicht wirklich ergründen können. Musiklehrer, wie bei uns ja der überwiegende Teil der "Profi-Musiker", ist hier kaum jemand. (Bezeichnend übrigens, daß das offenkundig dem allgemeinen spielerischen Niveau keinerlei Abbruch tut!) -- ich werde das noch weiter beobachten müssen..... Auf jeden Fall hat aber New York, als der wirtschaftlich traurigste Ort für Musiker, seine Spitzenposition eingebüßt.

5. Zwei Parties

Die beiden zu beschreibenden Fiestas fanden recht kurz aufeinander folgend statt, nämlich an Heilig Abend (Familienfest) und am 26.12. (Geburtstagsparty von Daniel) statt. Beide Feierlichkeiten sind weitgehend übereinstimmend in folgenden Punkten: Man kommt irgendwann zwischen 21 und 2 Uhr und schlägt sich den Bauch voll mit Dingen die von dem überladenen Grill kommen, der die Größe eines von der UEFA zugelassenen Fußballfeldes hat. Hier werden die Kühe allerdings komplett verzehrt, d.h. der überwiegende Teil dieser Kadaverberge sind irgendwelche Innereien, von Nieren bis hin zu noch weniger wünschenswertem. Dieses Zeug wird eigentlich den ganzen Abend über ge g/fr essen, und ganz zum Schluß kommen dann die Steaks (wenn man sich gar nicht mehr vorstellen kann, daß irgendjemand auch nur noch ein Pfefferminzblättchen zu sich nehmen könnte). Diese Steaks lagen aber nun schon (als riesige Klumpen von Fleisch) seit Stunden auf dem Grill, so daß man sie kaum von den "Kuddeln" unterscheiden kann.....da fällt auch mir als Amateurvegetarier der Verzicht leicht.....    ---  aber eigentlich wollte ich ja über Musik schreiben: Bei der ersten Feier (im wesentlichen die Jungens von Violentango, deren Familienangehörige und Freunde) werden nun nach einer Weile die Instrumente rausgeholt, es wird heftig drauflos musiziert, prinzipiell schon traditionelle Tangostücke, aber mit vielen falschen Akkorden (die unter großem Hallo spaßig angeprangert werden und je renommierter der gerade fehlgreifende Musiker ist, desto größer die Freude), vor allem aber mit Gesangseinlagen bevorzugt von Nicht Sängern. Hier wird erst recht jede improvisatorische Abweichung von Originalmelodie (und wohl auch Text) mit größtem Gelächter goutiert. Vieles wird in einer Art Sprechgesang vorgetragen, so daß ich versucht bin, aufzustehen und etwas in deutsch zu rezitieren, aber ich traue mich nicht, da ich nicht weiß, an welchen Stellen hier Blödsinn gemacht wird, und wo es vielleicht todernst um die Seelen aller anwesenden geht....

Zwei Tage später: Daniel Ruggiero ist der Bruder von Adrian (von Violentango) und ist in der jungen Generation (der 30-40 jährigen) wohl DER angesagte Bandoneonist in Argentinien. Die übrigen ca. 30 Gäste sind zu 90% männlich, und ebenfalls zu 90% Musiker. Camilo erklärt mir schmunzelnd: Wenn jetzt einer eine Bombe in diesen Garten schmeißt, ist auf einen Schlag der klassische Tango in Buenos Aires ausgelöscht! Will meinen: Es gibt schon noch andere, aber hier ist die erste Liga angetreten. Man spielt entweder Bandoneon, oder Klavier, selten Gitarre oder Bass, ein Geiger ist anwesend, sowie ein Sänger.....Hier und da werde ich vorgestellt als der Schlagzeuger aus Deutschland; -- was bisher eigentlich überall zu Ohs und Ahs und "Was machst Du hier?" usw. geführt hat, interessiert hier keine Sau. Ich könnte genausogut der Brötchenverkäufer aus Niederösterreich sein.... - Schlagzeug ist für den klassischen Tangero kein Instrument, also gehöre ich auch nicht dazu. Hier weht ein kühler Wind und auch die Jungens von Violentango, Rebellen dieses New Tango, also "Tango für Leute, die nicht wirklich spielen können", werden gerade so toleriert, zum einen natürlich, weil Adrian und Daniel Brüder sind, zum anderen weil sie nun offensichtlich etwas geregelt kriegen und in renommiertesten Orten spielen. Mehr aber auch nicht, und die Anzahl derjenigen, die sich auch tatsächlich mit diesen New Tango Freaks unterhalten, bleibt übersichtlich.

Bella fragt ganz unbedarft, ob denn hier auch später musiziert würde -- bekommt so ein halbherziges, unangenehmes "Ja, mal sehen, vielleicht" zur Antwort und ich erkläre ihr, was ich, auch ohne ein Wort spanisch zu verstehen, zu beobachten glaube (später wird mir das übrigens von JuanMa ziemlich exakt so bestätigt):

Hier ist das Who Is Who des Tango (der überwiegende Teil kommt übrigens just vom Hoteljob), das sind aus der Violentangosicht spielerisch die Götter; und trotzdem (oder gerade deswegen) ist hier untereinander allerstrengste Rangordnung. Nur durch Beobachtung, wer mit wem wie ein Gespräch beginnt, glaube ich, zumindest Teile dieser Hackordnung aufzeichnen zu können. Ein lockeres, munteres Drauflos-Jammen ist unter diesen Umständen nicht so einfach möglich: Als mobile Instrumente stehen nur Bandoneon und Gitarre zur Verfügung, es müßte also einer der Chefs das Instrument in die Hand nehmen (und es dann später gezielt jemandem weitergeben); wenn die aber keinen Bock haben, fällt die Musik eben aus. (Nach ähnlichen Prinzipien verlaufen wohl auch die Sessions in den traditionellen Kneipen. Das muß ich mir unbedingt noch mal unter diesem Gesichtspunkt live ansehen!) Alles in allem erinnert mich das irgendwie an unsere Zigeuner-Swing-Szene, es ist nur musikalisch etwas schwieriger zu analysieren, da hier nicht notwendigerweise der schnellste auch als der beste gehandelt wird.

Später bekomme ich dann noch ein paar Daten zum Leben so eines Tangeros heraus: Die ein / zwei Dutzend Topspieler, also die, die den klassischen Tango auch in der ganzen Welt zum besten geben, spielen hier in Buenos Aires in den paar Nobelhotels täglich zur Dinnershow (da, wo auch gerne mal Coldplay oder die Stones absteigen). Täglich heißt wirklich 7 Tage die Woche, meistens zwei Shows á zwei Stunden. Dafür bekommen sie dann ca. 3000 Dollar im Monat. Sie hassen diesen Job allesamt, sind in der Regel aber auch so abgelöscht, daß sie eben nicht hinterher noch zu einem dieser kochenden Plätze gehen, und aus Spaß auf einer "Session" spielen. Ebenso können sie schlecht irgendeine Entwicklung zugestehen, beispielsweise neue Instrumente oder Arrangements z.B. des New Tango, aber auch jede andere Vermischung, denn das könnte sie langfristig ihre Pole Position in der exclusiven Touristentangoverwertung kosten.... und sie sind (soweit ich es erfasse) immerhin die einzigen, die es tatsächlich mit der Musik halbwegs in die Mittelklasse schaffen!

6. (Jazz-) Sessions

Zu Hause ist mir in den letzten Jahren der sog. "Modern Jazz" ja ein wenig abhanden gekommen, bzw. die Aufführungspraxis hat mich nicht mehr so wirklich interessiert - womöglich habe ich mich sogar an der ein oder anderen Theke zu elemantar kritischen Worten über ebendiese Szene hinreißen lassen. Nun, in der großen, fremden Stadt ist es Zeit, auch mal wieder das positive an dieser Musik anzuerkennen: Genau diese Modern Jazz Szenen bieten (wohl fast überall auf der Welt) die einfachste Möglichkeit, mit fremden Musikern in Kontakt zu kommen.

Neben den Modern Jazz Sessions gibt es auch noch eine "Bluesjam" (wobei da ein recht enger Begriff von "Blues" vorherrscht) und ein paar Möglichkeiten des freieren, improvisierten Zusammenspielens. All den Orten (zumindest soweit ich sie gesehen habe) ist eine generell freundliche Atmosphäre unter den Musikern gemeinsam. Für meine Begriffe bemerkenswert ist, daß hier das spielerische Niveau der Sessions im Verlauf des Abends (hier besser: der Nacht!) nicht unbedingt stetig ansteigend ist, wie meist bei uns, wenn sich nach Auftreten der "Platzhirsche" kaum noch jemand anderes auf die Bühne traut. Hier darf auch ein eher mittelmäßiger Spieler - oder im Falle der Bluesjam ganz knallhart gesagt: eine echte Graupe den Abend beschließen. Das führt zwar auch dazu, daß man nicht so völlig weggeblasen wird (die spielerischen Höhepunkte sind viel mehr über den Abend verteilt), macht aber auch das Einsteigen leichter als an den meisten Orten, die ich sonst so kenne. Während des Spielens ist der hiesige Sessionmusikant dann überwiegend mit sich selbst beschäftigt, schaut aufs Instrument, auf den Boden, oder zur Seite - gelächelt wird kaum; hinterher in der Pause ist dann aber großes Trara und alle sind sehr beflissen (soweit es ihr Englisch zuläßt ;-)

Apropos Englisch: Der vorherrschende Antiamerikanismus führt auch zu sehr starkem Wunsch nach "eigenem". Selbst bei der Bluesjam werden ca. die Hälfte der Stücke in Spanisch gesungen, sehr charmant übrigens "Lunes con viento" oder so ähnlich für "Stormy Monday".... die Rockszene ist fast komplett mit eigenen Stücken in spanisch unterwegs (leider aber musikalisch nicht immer wirklich so eigen, und so ist der Teil der Szene mit den oft nach Puhdys oder Karat klingenden Rockschmonzetten für mich der am wenigsten beeindruckende), aber der Knaller ist das "Real Book Argentina": Wie bei uns (früher;-) rennt hier so mancher Jazzer mit dem typischen zerfledderten 500 Seiten-Schinken im Tornister zu Konzerten / Sessions, nur daß es in diesem Falle ausschließlich Stücke der Kollegen sind! Vielleicht ist das auch der Grund für die freundliche Atmosphäre unter den Jazzern - natürlich werden bei der Session auch die herkömmlichen Standards geschrubbt, aber wenn es zu so einer Eigenkomposition kommt, bewegen sich doch recht schnell die Kollegen vom Rauchen zurück um zu hören, wie die aktuelle Interpretation so einer "homegrown" Komposition ausfällt.

Publikumsmäßig gibt es hier die komplette Bandbreite an Reaktionen; auffällig die vergleichsweise üppigen Besucherzahlen bei experimenteller, improvisierter Musik. Noch auffälliger: das Alter! Mit Ausnahme der Bluesjam war ich hier bisher eigentlich überall der Senior........

7. Proben

Die von Violentango vorgelegte Probementalität ist womöglich nicht repräsentativ für alle Musiker in BA, aber es scheint auf jeden Fall auch nicht die Ausnahme zu sein: Außer mir sind für das angesetzte Konzert noch fünf weitere Gastmusiker geladen aus unterschiedlichen Szenen und auch die fügen sich ganz selbstverständlich in die Gegebenheiten ein, welche so aussehen:

Geprobt wird (für meine Verhältnisse) viel, genauer: oft! D.h., in der Woche vor dem -zugegeben großen- Konzert täglich. Dabei ist allerdings die Zeitangabe (14h) allenfalls grob verbindlich. Es heißt eigentlich nur, daß eher nachmittags als abends geprobt wird, und so tröpfeln nach und nach die Musiker ein. Erst mal werden mehr oder weniger kontrollierte Substanzen geraucht, Bier und Fernet stehen bereit, man tauscht sich über die Heftigkeit des vergangenen Abends aus, vergleicht die Intensität des daraus resultierenden, individuellen Kopfschmerzes. Irgendwann geht dann ein Teil der Meute in den Proberaum und spielt ein Stück. Dort sind auf einmal alle wie ausgewechselt; Richie, dem man für die sechs Meter in den Proberaum gerade gerne noch eine Gehhilfe an die Hand gegeben hätte, spielt ab dem ersten Takt mit einer atemberaubenden Leichtigkeit und Präzision. Dann geht es um einzelne Passagen: Mit unerhörter Akribie werden diese seziert, verfeinert, nochmal und nochmal gespielt bis alles "stimmt", wobei es fast ausschließlich um dynamische Verhältnisse und der Argentinier liebstes Kind, das Rallentando, geht. Darauf folgt eine erneute Komplettversion des Stückes und - wenn alles funktioniert hat - in rührender Weise Applaus, den jeder Musiker dem anderen spendet, wobei für uns Gäste dafür auch aufgestanden wird....Dann erneut kontrollierte Substanzen, Bier, Fernet..... small talk, bis sich wieder eine Besetzung findet.

Das alles ist nicht völlig entrückt von unserer Welt (gerade meine jüngeren Erfahrungen mit den heimischen "psychedelic folk rock songsters" gehen durchaus in die Richtung), aber hier ist es ein wirklich extremes Aufeinandertreffen von Akkuratesse und Müßiggang. Ein solcher Nachmittag bringt es nach meinen Maßstäben vielleicht auf 60 Minuten effektive Probezeit, die haben es aber in sich! Zeitmanagement ist hier gar nicht gefragt, denn die Jungens machen sowieso nichts anderes. Ich dagegen fühle mich sehr angeregt, meine Haltung zu musikalischen Detailfragen zu überdenken, da ich oft ebendiese Details übergehe mit der Ansicht, daß es ohnehin viele gleichwertige Möglichkeiten der Interpretation gibt und nicht eine besonders "richtige". (Das Konzert gibt dann aber wieder mir recht, denn die meisten großartigen Momente des Feintunings gehen auf der Riesenbühne mit mäßigem Soundequipement doch verloren....)

Schließlich noch ein schmunzelnder Satz zum Wort "Proberaum": So etwas gibt es hier natürlich gar nicht. Geprobt wird im Wohnzimmer, falls die wohnlichen Verhältnisse überhaupt eine Unterscheidung von Wohn- und Schlaf- , oder sonstigem Zimmer zulassen. Dort dann mit Verstärkern....volle Lotte. Bei offenem Fenster. Mitten im Wohngebiet. Mit Nachbarn, deren bloße Sprechstimme man durch die Pappwände hören kann. Diese Proben fanden ja wenigstens tagsüber statt; gestern war ich aber zur privaten Improvisier-Party bei einem befreundeten Pianisten geladen: Dort wurde unter ebendiesen Umständen auf das heftigste Free gejazzt -- das ganze fing aber überhaupt erst um 2 Uhr morgens an! Das ist schon unglaublich, selbst wenn man konstatiert, daß BA generell einen so hohen Geräuschpegel produziert, daß offenbar niemand Lärm als etwas empfindet, gegen das man sich schützen oder gar auflehnen könnte......

8. Flankierende Maßnahmen

Flyer, Flyer, Flyer; ein paar "tags"; große Artikel in mehreren Zeitungen und jede Menge Radio Interviews, zu denen die Jungens mal nachts um drei, mal morgens um neun geladen werden (wo sie dann auch ein paar Stücke live spielen - egal in welchem Zustand...  ;-)

Der Hauptunterschied: Zeitungs- und Radiofeatures, offiziell redaktionell, kosten unter der Hand aber (natürlich) Geld. Ordentlich Geld. Geld, das in keinem Verhältnis zu den erwarteten Einnahmen steht.

Aber das ist Pflicht, oder zumindest geboten: Bei so einem Auftriit geht es gar nicht primär um die Leute, die tatsächlich ins "Konex" zum Konzert kommen; ein Auftritt im nationalen Radio wird von Leuten gehört, die tausende Kilometer entfernt sind. Für die ist eine Band, die im Konex spielt, Grund hinzuhören und mittelfristig ist hier nationale Bekanntheit die einzige Chance, als Musiker durchzukommen (s.o.).

9. Das Konex

ist mit seinem Fassungsvermögen von zwei- bis dreitausend Zuschauern das Flagschiff der Clubszene. Darüberhinaus gibt es eigentlich nur noch ein paar exquisite Theater (zwar nicht größer, aber teuerer), oder natürlich Stadionkonzerte. (Unser unglaublicher Gastsänger Limon Garcia pflegte übrigens in den 90er Jahren mit seiner Band Bersuit regelmäßig das Riverplate Stadion zu füllen (immerhin 60.000 Leute), bevor er es vorzog, wieder einfach zu leben und Milongas zu bespielen, da ihm in der Rockszene die Drogen zu heftig wurden -- das, was der jetzt so "auf kleiner Flamme" konsumiert wäre wohl immer noch genug mich umzubringen... ;-)

Diese zweitausend werden für uns nun nicht gerade erwartet, aber wir sind auch ein echtes Experiment. (Es werden dann so ungefähr 600, für eine Tangoband genug, den Veranstaltern gehörigen Respekt abzugewinnen.) Dafür wird die Atmosphäre um so schöner: Direkt vor die open air Bühne werden 100 Liegestühle aufgebaut, es ist fast Vollmond .... (leider auch ziemlich windig). Zum ersten Mal läuft vor einem Konzert erträgliche Musik vom Band und als ich mich danach erkundige, werde ich sofort dem Bassisten dieser Band vorgestellt, der hocherfreut über mein Kompliment sofort ebendiese CD aus der Tasche zieht und mir schenkt.... (ebenfalls siehe oben).

Der nachmittägliche Soundcheck vollzieht sich für argentinische Verhältnisse recht straff, das technische Material scheint im großen und ganzen recht brauchbar, auf gutem 90er Jahre Niveau würde ich sagen, lediglich Einzelheiten bleiben mir rätselhaft; so zum Beispiel der Versuch, Carmens Cello mit einem SM 57 abzunehmen - was sich dann beim Konzert auch grausam rächen wird..... Auch das Equipement der Jungens ist zwar gut, aber irgendwie nicht ganz gemäß: Juan und Camillo spielen ihre klassischen Gitarren über einen Fender Deluxe, bzw. Laney Verstärker, hier sicherlich ein kleines Vermögen wert, aber jedesmal, wenn ich die Hihat trete, fühlt sich die Hallspirale des Fender neben mir gekitzelt, und so bekommt das ganze eine ungewollt Woodstock-artige Note. Mein "Schlagzeug" ist von der Sorte, die unser Gebrauchtmusikalienkrämer Bimbam sicherlich nicht einmal in Kommission nehmen würde....  ;-)

Spielt aber alles keine Rolle, denn am Ende kommt (bis auf das Cello) ein passabler Sound heraus, und so findet sich einmal mehr bestätigt: Technik kann Magie verhindern oder zulassen, produzieren muß sie in jedem Fall aber jemand anderes.

10. Das Konzert

in Worte zu fassen, fällt mir schwer: Zu sehr voreingenommen, zu begeistert bin ich, ein Teil davon zu sein. Im ersten Teil spielen Violentango alleine, und zumindest eine Zeit lang gelingt es mir, so zu tun, als würde ich einfach nur Zuschauer sein, niemanden zu kennen, nur der Musik zuzuhören: Die Jungs schaffen es tatsächlich, verteilt auf dieser 8 x 16 Meter Bühne ihre intime Intensität zu pruduzieren, wie damals auf der Straße oder im Litfaß! Das Publikum klebt an ihren Fingern, und diese Aufmerksamkeit habe ich bis jetzt (und ich war nun wirklich jeden Abend auf mindestens einem Konzert!) lediglich bei Fernandez Fierro (s.o.) erlebt! Prompt verpasse ich mein abgemachtes Zeichen auf die Bühne zu kommen und muß sprinten, um es gerade noch rechtzeitig zu schaffen und den Betrieb nicht aufzuhalten....

Den folgenden zweiten Teil verbringe ich dann in einem anderen Universum und ich werde abwarten müssen, bis ich den Filmmitschnitt sehe, um mich dazu halbwegs sachlich äußern zu können.

Immerhin passieren mir nach dem Konzert so rührende Dinge, daß ich davon ausgehen kann, wohl auch meinen Teil beigetragen zu haben:

  • Limon, der erwähnte Gastsänger und mein persönlicher Held dieser Reise, mit dem ich mich aber leider praktisch nicht (verbal) verständigen kann, kommt unaufgefordert zu mir, um mir seine CD zu schenken. (Und der braucht mich wahrlich nicht, um etwas für ihn klar zu machen...!)
  • Im Gewirr aller möglichen Komplimente kommt ein Zuschauer und fragt mich (in fast akzentfreiem deutsch), seit wieviel Jahren ich in Buenos Aires lebe und seit wann ich Tango "Synkopation" (wie er es nennt;-) studiert habe.....  
  • und schließlich kommt Juan und grinst: "The duo worked!" -- Etwa fünf Minuten vor dem Konzert kamen die Jungens nämlich zu mir und teilten mir eine kleine Planänderung mit: Vor dem finalen "Libertango" möge ich ein kleines Drumduett mit Santi improvisieren. Mehr sagen sie nicht. Das ist für mich nun nicht weiter schockierend, und ich hatte das ja auch schon in den Freiburger Konzerten einfach mal als Tatsache gesetzt, obwohl es für Santi tatsächlich das erste Mal war, daß er solistisch improvisierend tätig war.... Nach dem Konzert erfahre ich nun aber, daß sie sich wohl wirklich lange dazu durchringen mußten, da soetwas hier vom Publikum auch schnell als Humbug oder fachfremder Firlefanz - im ungünstigsten Falle auch ausgepfiffen wird (und das, obwohl die Violentango die Grenzen des Tango ja schon deutlich dehnen). Das hatten sie mir freundlicherweise vorher verschwiegen, dann aber -von wegen kleines Solo- alle die Bühne verlassen und uns mit vollem Risiko unsere großen gefühlte zehn Minuten gegeben (defacto wohl eher fünf). Nun denn "the duo worked" -- standing ovations! -- ein überglücklicher Santi (und Schroeder), nicht zuletzt, weil es auch einen grandiosen Übergang in Libertango gab.....
  • ....einen dieser Übergänge, die die Jungens ja neuerdings auch zwischen manchen ihrer Stücke arrangiert haben... ;-)  -- so wie es auch beim Konzert nur am Anfang und am Ende eine Ansage gibt, dazwischen aber zum Beispiel einen Gast "narrator", der einen Essay über Piazzola mit einem eigenen Gedicht über Violentango (die Band, nicht das Stück) vorträgt. In der Sanata Bar bei der anschließenden After Show Party werde ich nun jedem Musiker auch als der "Erfinder" dieser Elemente vorgestellt (wie ja schon ganz offiziell für diese "two in one band" Programme, die sie hier seit zwei Jahren ab und zu aufführen).

11. Zur Schroeder Rezeption, oder: Reflexion?

Natürlich bin ich nicht der "Erfinder" dieser (oder irgendwelcher anderen) Elemente. Ich werde hier auch nicht müde zu erzählen, woher ich mir diese verschiedenen Arrangement- oder Präsentationsformen "geklaut" habe, aber immerhin: ich habe mich damit beschäftigt - und es wohl auch zu einem gewissen Maß an Phantasie gebracht..... Das wird nun hier außerordentlich gefeiert. "Big in Japan" heißt das wohl in neudeutsch ;-)

Ähnlich übrigens die Trommelei selbst: Man ist allenthalben der Meinung, ich sei eine große Nummer und das nicht nur wegen des "natürlichen" Exotenbonus. Auch das ist natürlich trommlerisch Käse, wenn ich nur an die Kohorten von Jazzdrummern denke, die sich hier allnächtlich durch die Clubs spielen. Von denen spielt so mancher technisch in einer ganz anderen Liga, und noch viel schlimmer: einige mit wirklich eigenem (und guten!) Sound. (Die meisten von denen keine 30 Jahre alt!) Da ist wirklich nichts in dem, was ich spiele, was hier nicht irgendjemand noch viel besser machen würde -- und alle kennen sich untereinander, z.B. vom montaglichen Kicken (was übrigens auch um 22.30h beginnt ;-). Aber es scheint, daß der "gemeine Jazzer" sich hier nicht gerne mit den Tangeros einläßt, weil er sich dann dieser relativ geregelten, solo-armen Musik unterwerfen müßte, so wie der Tangero, zumal wenn er Bandoneon spielt, mit all diesen doofen Jazztonarten nichts anfangen kann. Der Rockschlagzeuger in diesen Breiten ist aber eher bemüht, möglichst laut zu spielen, also auch kein besonders guter Partner für unsere Nylongitarristen, und so scheint es, daß meine musikalische Sitzposition zwischen den Stühlen in Buenos Aires plötzlich zum besten Platz wird. Allein die Erfahrung ist die Reise (-kosten) wert!

12. Arme Bella

Etwas mager dagegen fällt die bisherige "vokale" Ausbeute aus. Natürlich waren da die beeindruckenden Tango-Sänger von Fernandez Fierro, natürlich Limon (den wir auch zweimal mit seiner Band gesehen haben), oder auch der ältere Herr aus der Bar. In derselben bei der After Show Party auch zwei wirklich brauchbare Bossa Nova Sängerinnen, aber dann: Ebbe. Stattdessen mußten wir eine "Jazzsängerin" und eine Playback Sting und sonstiges Interpretin ertragen, die fraglos zum schlechtesten gehörten, was wir beide bislang gesehen haben...

Wir selbst gaben ja unser Duo Debut direkt am Anfang bei einer Jazz-Session, wurden für die Woche drauf auch gleich begeistert zum Spielen eingeladen, aber auch das fühlte sich ein wenig fremd an. Das Internet gibt für Folk, oder gar Singer Songwriter in Buenos Aires nichts her, oder zumindest nicht das, was wir darunter verstehen, und als ich endlich im Internet den amtlichen Laden für eine Pena, also einen folkloristischen Abend, an dem jeder sein Liedgut zum besten gibt, gefunden hatte, mußten wir vor Ort feststellen, daß er offensichtlich umgezogen, also unauffindbar war.

Heute nochmal ein Versuch (allerdings wieder ein Jazzladen), für das nächste Mal Buenos Aires muß Pablo vom Litfaß ein paar Tips geben.....

13. Aufnahme

Zuguterletzt und recht überraschend dann die Ankündigung einer Studioaufnahme für den letzten Tag – von ebendem Stück mit Sänger Limon.

Der Aufnahmeort ist eine Musik-Kneipe, die an dem Tag nicht offen ist. Das Equipement ist größtenteils das Material in diesem Laden, ergänzt um ein paar Mikrophone, zwei Kopfhörer und natürlich Laptop und Schnittstelle.

Aufbau und Einrichten verlaufen wie eine Mischung aus Konzert und Probe, d.h. einerseits durchaus effektiv, andererseits natürlich mit Pils, Fernet und den verschiedenen Rauchmöglichkeiten.

Schließlich ist jeder an seinem Ort in irgendeiner Ecke der Kneipe eingerichtet und verkabelt -- ich natürlich auf der Bühne, weil das Schlagzeug da ja schon stand, und da die Beleuchtungsverhältnisse schwierig sind, werden auch gleich einfach die Bühnenscheinwerfer als Lichtquelle für alle benutzt.

Gespielt wird gleichzeitig, was mir sehr symphatisch ist, und ähnlich wie bei den Proben werden die ersten Takes hinterher seziert und (wie könnte es anders sein?) die beiden Rallentandos in der Nummer werden bis aufs i – Tüpfelchen abgewogen.

Dann ist die etwa vierte Komplettversion die erste, die anschließend von allen beklatscht wird. Dennoch werden noch zwei weitere aufgenommen, deren letzte dann tatsächlich noch mal einen ganzen Schritt intensiver wird (dementsprechend lautstark gefeiert).

„Holla, die Waldfee!“ denke ich, denn meiner bisherigen Erfahrung nach hat es kaum einmal eine noch wirklich gute Version gegeben, wenn mehr als vier oder fünf im Kasten waren. Wieder was gelernt.... und so gebe ich mich nun tüchtig dem ortsüblichen Isenbek (Bier) hin –schließlich ist es der heißeste Tag bisher in diesem Sommer- , nachdem ich mich zunächst eher zurückgehalten hatte, um meine erste südamerikanische Aufnahme Session nicht allzu übermütig anzugehen.

Aber jetzt ist ja alles erledigt........   ---- Pustekuchen: Diese letzte Aufnahme ist nur der guide track, auf den ich und der Sänger nun alleine noch mal eine (von Übersprechung) saubere Aufnahme draufnageln sollen. Ooops – Stichwort: Rallentando!

Ich bin als erster dran, nun auf einmal alleine. Auf der Bühne. Unter Scheinwerfern. Mittlerweile sind außer den Musikern auch noch ein paar Freunde und Typen von der Kneipe da, z.B. auch der Besitzer des Schlagzeuges, auf dem ich spiele, die alle mal sehen wollen, was da getrieben wird. Während in unseren Studios ja jeder Techniker und Aufnahmeheinz während des Takes unbedingt nicht in Richtung des Spielers schaut, um dem so eine Art private Atmosphäre vorzugaukeln, ist es hier gerade das Gegenteil: Etwa 15 Leute sitzen vor der Bühne und starren gespannt, als ich mir den Kopfhörer überstülpe. Ich bekomme einen halben Durchgang für den Kopfhörermix, dann ist ernst:

Andres fragt noch, ob das stressig sei mit den Zuschauern und ich antworte ihm lapidar, dass ich gewohnt sei, vor musikalischen Ignoranten zu spielen....und dann geht´s los. Während des Spielens merke ich, wie die da unten mitfiebern. Sie müssen da mucksmäauschenstill sitzen, aber innerlich schreien die mich so voran, wie einen St ürmer, der alleine aufs gegnerische Tor zuläuft! Das ist so wenig kritisch oder kontrollierend, einfach nur ein Energieschub und intensivierend. Trotz all der Gedanken gelingt mir als erster Take eine akkurate und vor allem korrekte Version. Da damit nun alles in trockenen Tüchern sei, bitte ich um eine zweite Aufnahme, bei der ich etwas „weitergehend interpretatorisch“ spielen wolle. Schnell noch ein Pils und auf geht´s: Soviel habe ich mittlerweile von dieser Musik begriffen, dass in rhythmisch eindeutigen, also gleichmäßigen (wir würden sagen „groovenden“) Situationen die relativ größte Freiheit herrscht, agogische Elemente, nicht nur die Rallentandos, auch bestimmte Phrasen, die nicht mehr eindeutig in unserer Notenauffassung zu beschreiben sind, hier geradezu pedantisch präzise gespielt werden. Letzteres gelingt mir nun in der zweiten Aufnahme (im Rahmen meiner Möglichkeiten) immer noch ganz gut, aber dafür biete ich jetzt in den geordneten Passagen durchaus „gewagtes“ Material. Sehr sparsam, schließlich gibt Santi ja auch noch seinen Senf dazu, aber stellenweise extrem verzweifelt, fast ausweglos. (Und zu diesem Zeitpunkt kenne ich den Text noch nicht einmal...) -- Als der Take durch ist, ist die Hölle los: Der Reihe nach liegen sie mir in den Armen und die nächsten Flaschen werden geköpft auf diesen, wie sie sagen, „Historischen Moment“.

Ich bin froh, dass ich mich nun endgültig dem Thema Isenbek zuwenden kann und bin gespannt auf die Gesangsaufnahme: Nach kurzem Umbau haut Limon nun wirklich alles weg, was ich bisher an Gesangeskunst mitbekommen habe. Seine Stimme ist nun unverstärkt in diesem großen Raum und im Gegensatz zu der Konzert-, oder auch Kollektivaufnahmesituation klingt sie nun fast gebrechlich. Zum ersten Mal höre ich auch präzise all die Atemgeräusche, das Kratzen und Grummeln...... – ohne die anderen Instrumente zu hören, ist kaum noch eine Melodie auszumachen und rhythmisch ist das (selbst in einer Rap-artigen Passage) so dermaßen im Off, dass man kaum glauben kann, ein „Lied“ gehört zu haben. Bella weint, ich habe Gänshaut und traue mich nicht, während der Aufnahme zu Limon zu schauen, obwohl ich weiß, dass es hier wirklich

niemanden stört – im Gegenteil.

Limon nimmt sich ganz selbstverständlich sechs oder sieben Takes, wiederholt auch einzelne Passagen und gestaltet diese jedes Mal wieder so anders, dass ich nicht für Geld der sein möchte, der hier zum Schluß eine Auswahl treffen muß....

Anschließend beim gemeinsamen Abschiedsessen lasse ich mir endlich den Text erklären – was gar nicht so einfach ist, denn es wimmelt von Wortspielen und Zweideutigkeiten, die nicht einmal ein Spanier verstehen würde, wie mir versichert wird. Auf jeden Fall geht es ganz rührend um einen alten Mann, den Tango und ..... Drogen. Und nun, nach drei Wochen, habe ich begriffen, dass diese Kombination hier gar nicht so ein Wechselspiel von Verklärung und schockiert Sein ist, sondern alles viel näher beieinander liegt, wie auch künstlerisches und bürgerliches Leben, Gefahr und Sicherheit, Rock und Roll?

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